Eco-Anxiety - Einen gesunden Umgang mit der Klimakrise finden
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In Coachings begegnet uns bei Soulchat immer wieder tiefe Betroffenheit und Schreck über die Lage unserer Umwelt. Meine Kollegin Leonie meinte letztens, dass es nun mal Zeit sei, auch für uns darüber zu schreiben. Sich tiefer mit unserem Planeten zu beschäftigen, kann überfordernd und auch beängstigend sein. Zugleich kann uns diese Auseinandersetzung aber auch stärken und uns zusammenbringen. Ganz charmant fragt die Mitinitiatorin von Psychologists for Future, Lea Dohm, in der Tagesschau, ob wir diese Probleme “nicht auch mit Verbundenheit lösen können” [1].
Hier soll es um die Frage gehen: Wie gehe ich zunächst einmal gut mit mir selbst um – meinem Schreck, meiner Betroffenheit – wenn ich mich den Problemen der Klimakrise zuwende?
Der Artikel bietet dir Perspektiven, die Dich dabei unterstützen können einzuordnen, was die Klimakrise für unsere mentale Gesundheit bedeutet und welcher innere (und äußere) Umgang eine gesunde Antwort darauf sein kann.
Die “Öko”-Angst
Spätestens im Hitzesommer 2018 ist auch in Europa fühlbar geworden, was Klimawandel schon jetzt für uns bedeutet. Dürren, Waldbrände und Gletscherschmelzen erreichen auch hier neue Rekorde. Der Begriff Eco-Anxiety (zu deutsch “Öko-Angst”) hat sich im Deutschen zwar noch nicht wirklich durchgesetzt, das Phänomen aber schon längst. Wissenschaftlich ist Eco-Anxiety definiert als das “allgemeine Gefühl, dass sich die ökologischen Grundlagen für Existenz im Zusammenbruch befinden” [2]. Eine Krankheit ist Eco-Anxiety nicht, allerdings kann sie für manche Menschen hohen Leidensdruck bedeuten und auch ein Faktor für die Entwicklung psychischer Erkrankungen sein.
Austausch statt Isolation
Die Psychotherapeutin Patricia Hasbach hat sich auf Öko- und Klima-Angst spezialisiert und beschreibt in einem Interview, wie viele ihrer Klient*innen davon ausgehen, andere Menschen seien von diesen Gefühlen nicht betroffen. In Wirklichkeit teilen bis zu 84% aller Befragten diese Gefühle zur Umwelt und unserer bedrohten Zukunft. In einer Lancet Studie gaben dabei sechs von zehn jungen Menschen (bis 26 Jahre) an, sehr besorgt oder sogar extrem besorgt zu sein [3]. Mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und gemeinsam über Ängste und Sorgen zu sprechen, sei, so Hasbach, eine entscheidende Erleichterung für Viele.
Wie bei anderen Ängsten auch, ist eine gute Emotionsregulation ein Schlüssel im Umgang mit Eco-Anxiety. Ob das für uns im Gespräch mit Freunden oder der/dem Partner*in passiert, im professionellen Setting (wie etwa bei uns im Coaching) oder auch allein an einem persönlichen Wohlfühlort: Wenn wir uns mit Themen wie der Klimakrise beschäftigen, brauchen wir Orte und Zeiten an denen wir unsere Akkus wieder aufladen können — und unsere Gefühle mitgefühlt werden.
Denn Gefühle wollen gefühlt werden
Bewusste Ablenkung kann eine wichtige Verschnaufpause sein, speziell von noch mehr “schlechten Nachrichten” und düsteren Prognosen. Damit langfristig mehr Raum in uns entsteht, möchten unsere Gefühle aber wohlwollend gefühlt werden. Und zwar tatsächlich alle. Je mehr die Angst (oder Betroffenheit, Traurigkeit) als eine innere Erfahrung in Dir auftauchen darf – am besten in einer Situation, die sich für Dich unterstützend anfühlt – desto größer wird auch Deine persönliche Freiheit und Flexibilität im Umgang mit der Klimakrise. Ziel ist also nicht “angstfrei” zu werden, sondern insgesamt mehr Spielraum damit zu finden. Ein erster Schritt, mehr Gefühle zu tolerieren, kann sein, Dir Deiner persönlichen und sozialen Ressourcen bewusst zu werden: Welche Menschen oder Räume unterstützen Dich? Wo fühlst Du Dich wohl, stark oder wirksam?
Den anderen Weg einschlagen
Ein weiterer Weg im Umgang mit Angst ist…Wut!? Wut tut gut, fanden Stanley et al. [4] in ihrer Studie zu Eco-Anxiety und Eco-Depression heraus. Genauer gesagt: Personen, die bezogen auf den Klimawandel Gefühle von Wut empfanden, hatten in ihrem täglichen Leben weniger Erleben von Angst, Stress und Depression. Wut zu erleben, war zudem mit einem höheren kollektiven Engagement verbunden. Die Schlussfolgerung der Forschungsgruppe lautet, dass Wut also tatsächlich eine nützliche emotionale Antwort auf die Krise ist, die wir gerade erleben.
Der “Gefühlskompass” von Vivian Dittmar beschreibt, dass wir Wut empfinden, wenn wir etwas als “falsch” interpretieren [5], im Sinne von: “Das ist nicht richtig, was da passiert”. Das schürt unser inneres Feuer und setzt Energie frei, um etwas zu verändern. Wut schenkt uns also Klarheit darüber, was wir “falsch” finden und stärkt zugleich unsere Handlungsfähigkeit. Wenn Du selbst normalerweise mit Wut und Ärger lieber nichts zu tun hast, ist das hier also eine Einladung für Dich zum neugierig werden. Ein Satz den ich persönlich hierzu einmal aufgeschnappt habe heißt: “Wut ist Klarheit auf zu wenig Raum”. Das heißt, wenn Wut sich in uns ausdehnen, bewegen und atmen darf, entsteht Klarheit und Eindeutigkeit darüber, was wir eigentlich wollen. Wir kommen in Kontakt mit unserer Kraft und Initiative für kreative Projekte, die unsere Welt gerade dringend braucht.
Damit ins Handeln kommen
Für die Welt, aber auch für unsere eigene mentale Gesundheit sind Erfahrungen, in denen wir uns aktiv, fähig und selbstwirksam fühlen, enorm wichtig. Fürsorglich mit unserer Erde umzugehen und uns stark zu machen für den Schutz unserer Ökosysteme, stärkt unsere Beziehung zum Planeten und uns selbst. Zu handeln schenkt uns Kraft und Hoffnung für eine Herausforderung, die in diesem Ausmaß völlig neu für die Menschheit ist. In der Regel bietet unser eigener Alltag, unsere Arbeit und Interessen bereits jede Menge Anknüpfungspunkte, Wirksamkeit zu erleben.
Wenn Du mehr darüber erfahren möchtest, welche Möglichkeiten es für Dich gibt, unsere Zukunft in der Klimakrise aktiv mitzugestalten, dann empfehle ich Dir noch diesen Artikel zu lesen.
Das Thema liegt uns bei Soulchat nah am Herzen und während auch wir immer weiter dazulernen, unterstützen wir Dich in Deiner individuellen Auseinandersetzung total gerne damit. Wir freuen uns von Dir zu hören.
Autor: Joseph Ronicke
Quellen
[1] Tagesschau. (2022, November 9). Psychologin im Interview: Der Klimakrise im Alltag begegnen. tagesschau.de. Retrieved December 14, 2022, from https://www.tagesschau.de/wissen/klima/psychologie-klimawandel-101.html
[2] Panu, P. (2020). Anxiety and the ecological crisis: An analysis of eco-anxiety and climate anxiety. Sustainability, 12(19), 7836. https://doi.org/10.3390/su12197836
[3] Hickman, C., Marks, E., Pihkala, P., Clayton, S., Lewandowski, R. E., Mayall, E. E., Wray, B., Mellor, C., & van Susteren, L. (2021). Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: A global survey. The Lancet Planetary Health, 5(12). https://doi.org/10.1016/s2542-5196(21)00278-3
[4] Stanley, S. K., Hogg, T. L., Leviston, Z., & Walker, I. (2021). From anger to action: Differential impacts of eco-anxiety, eco-depression, and eco-anger on climate action and wellbeing. The Journal of Climate Change and Health, 1, 100003. https://doi.org/10.1016/j.joclim.2021.100003
[5] Dittmar, V. (2017). Gefühle & Emotionen: Eine Gebrauchsanweisung. edition est.