So umarmst Du Dein Hippo - Der Endgegner im Prokrastinations-Spiel
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Viele von uns haben schon den “Instant Gratification Monkey” kennengelernt, welchen Tim Urban in seinem berüchtigten Ted-Talk einführte: “Inside the mind of a master procrastinator”.
Das Äffchen kennenzulernen ist sehr hilfreich, um Prokrastination zu verstehen. Kurz gesagt erklärt Urban, dass das Äffchen das Steuerrad unseres Gehirns übernimmt und uns zur Spaß- und Leichtigkeitsinsel navigiert, wenn eigentlich der/die rationale Entscheidungstreffer*in am Steuerrad sitzen sollte.
Für Prokrastinierende hält dieser Zustand an, bis eine Deadline so nah kommt, dass das innere Panikmonster den Alarm auslöst, den Affen verscheucht und Platz für den/die rationale*n Entscheidungstreffer*in macht, der/die endlich die Aufgabe beenden kann.
Das erklärt sehr gut einen Teil dessen, was passiert, wenn wir prokrastinieren. Aber was können wir dagegen tun?
Um der Beantwortung dieser Frage näher zu kommen, muss ich zuerst einen anderen entscheidenden Mitspielenden im Prokrastinationsspiel vorstellen:
Das “Hiding Hippo"
Das Hippo möchte, dass Du Dich vor Deinen Problemen und negativen Gefühlen versteckst.
Auch wenn Du Deine Arbeit so gestaltet hast, dass sie Spaß macht, direkt belohnend ist und Du somit Deinen Affen immer unterhältst, löst das noch nicht das Problem, dass dein Hippo mit sich bringt. Deinem Hippo ist Spaß egal. Ihm ist nur wichtig, dass Du Dich vor negativen Gefühlen und dem Anerkennen von Schwierigkeiten versteckst.
Wenn Du an Deinem Projekt arbeiten solltest und Du es nicht schaffst, einem unterhaltsamen Plausch zwischen Kolleg*innen zu widerstehen, ist wahrscheinlich der Affe am Steuerrad. Sitzt Du hingegen vor Deinem Computer und bist prinzipiell bereit zu arbeiten, starrst aber letztendlich einfach nur auf Deinen Bildschirm oder es erscheint Dir auf einmal unverzichtbar, Deinen Schreibtisch zu putzen, oder besser die ganze Wohnung, bevor Du mit der Arbeit beginnst: Dann ist vermutlich das Hippo am Steuerrad und nicht der Affe.
Lass mich Dir ein paar Beispiele geben, in welchen das Hippo das Steuerrad des Gehirns übernimmt:
Beispiel Nummer 1:
Mark ist ein junger Softwareingenieur, der Schlüsselinformationen von seinem Kollegen Ben braucht, um sein Projekt beenden zu können. Er zögert jedoch, Ben anzusprechen, da Ben die Angewohnheit hat, herablassend zu sein und Mark sich daraufhin schlecht fühlt. Marks Hippo möchte absolut nicht, dass Mark sich so fühlt und übernimmt das Steuerrad, was dazu führt, dass Mark nicht auf Ben zugeht. Das Hippo überzeugt ihn sogar, dass die Schlüsselinformation doch nicht so bedeutend ist und er beginnt, um die Information herum zu arbeiten. Das lässt Mark viel länger an dem Projekt sitzen, als eigentlich notwendig wäre.
Beispiel Nummer 2
Katelin ist eine intelligente junge Frau, die alle notwendigen Fertigkeiten besitzt, um eine cum laude Masterarbeit in Meeresbiologie zu schreiben. Trotzdem hat sie tief in ihrem Inneren das Gefühl dass sie das niemals schaffen kann.
Ihre Eltern gaben ihr immer das Gefühl, dass sie nicht gut genug sei, und sie trägt dieses Gefühl seit ihrer Kindheit in sich. Sobald sie sich an ihre Thesis setzt, sitzt ihr Gefühl nicht gut genug zu sein, direkt neben ihr. Das lässt ihr Hippo erschaudern. Das Hippo möchte Katelin davor beschützen, sich so zu fühlen. Außerdem will es sie davor beschützen, möglicherweise zu versagen, falls ihre Eltern doch recht gehabt haben sollten. Ihr Hippo hält es deshalb nicht aus, wenn sie an ihrer Thesis arbeitet und übernimmt immer wieder das Steuerrad, um sie vom Erleben dieser schmerzhaften Gefühle abzulenken.
Den Schaden, den freilaufende innere Hippos in Organisationen und generell im Leben kreieren ist immens.
Wie Du das Prokrastinationsspiel beenden kannst, indem du deinen Endgegner umarmst
Nachdem wir die wichtigsten Charaktere im Prokrastinationsspiel kennen - was können wir nun tun, um es zu beenden?
…Die Antwort liegt darin, den liebenswerten Sonderlingen das zu geben, was sie brauchen!
Das ganze Prokrastinationsproblem entsteht erst dadurch, dass der Affe und das Hippo manchmal sehr irreführende Strategien nutzen, um das, was sie von uns wollen zu bekommen.
Lass uns das genauer anschauen:
Was er/sie möchte:
Dass wir Spaß haben
Irreführende Lieblingsstrategie, die er/sie nutzt:
Die Aufmerksamkeit auf etwas direkt belohnendes lenken ohne Rücksicht auf Sinnhaftigkeit
Was er/sie möchte:
Dass wir uns nicht unsicher, wertlos und ungeliebt fühlen
Irreführende Lieblingsstrategie, die er/sie nutzt:
Sich vor den Problemen und negativen Emotionen verstecken und in einer selbsterschaffenen Fantasiewelt leben
Konzentrieren wir uns für den Moment auf das Hippo. Um das Hippo dazu zu bekommen, uns das Steuerrad zu überlassen, müssen wir lernen, es wertzuschätzen und zu verstehen.
Schenke Deinem Hippo Wertschätzung
Unser inneres Hippo möchte uns unbedingt davor beschützen, dass wir uns unsicher, ungeliebt und wertlos fühlen. Das ist eine wirklich ehrenwerte Aufgabe, denn positiv betrachtet bedeutet dies, dass es einfach nur möchte, dass wir uns sicher, geliebt und wertvoll fühlen. Wie sich also herausstellt, ist das Hippo ein sehr warmherziger Geselle. Die Art und Weise, wie es versucht, uns zu helfen, ist lediglich etwas unbeholfen.
Verstehe Dein Hippo
Abhängig davon, wie wir aufgewachsen sind, haben Hippos unterschiedlichen Formen und Farben. Wenn unser Hippo sehr groß und besorgt ist, muss es eine Zeit gegeben haben, in welcher es eine wichtige Rolle für uns gespielt hat. Es ist wichtig, das anzuerkennen und zu ehren. In der Regel hat sich unser Hippo schützend an unsere Seite gestellt, als wir Kinder waren - nicht in der Lage, uns selbst zu schützen, abhängig und verletzlich.
Das Hippo springt ein, um uns zu schützen, wenn es Angst hat, dass wir nicht in der Lage sind mit den Schwierigkeiten, in welchen wir stecken, umzugehen. Es möchte, dass wir uns verstecken, unseren Schmerz nicht fühlen und in unserer kleinen Fantasiewelt leben, wo alles sicher, warm und flauschig ist.
Die Hilflosigkeit und Abhängigkeit, welche wir in unterschiedlichem Ausmaß als Kinder spüren, verbessert sich oft dramatisch, wenn wir erwachsen sind. Das Hippo nutzt jedoch oftmals weiterhin seine Strategie, uns vor Schwierigkeiten zu verstecken.
Jetzt verstehen wir also schon mal, wie unser Hippo so tickt. Wissend, dass es uns letztlich nur das beste wünscht, können wir es vielleicht auch schon jetzt ein wenig lieb haben. Lasst uns im nächsten Schritt zur Sache kommen und schauen, was wir tun können, um es zu überzeugen, uns das Steuerrad unseres Gehirns zu übergeben:
Was zu tun ist - In 5 Schritten:
Finde dein Hippo
Wir werden niemals irgendwo ankommen, wenn wir uns nicht bewusst sind, dass das Hippo das Steuerrad übernommen hat. Wenn wir prokrastinieren, ist es entscheidend, als erstes einen Moment innezuhalten und uns daran zu erinnern, dass das Hippo uns gerade vor einem Gefühl versteckt, welches uns das Hippo einfach nicht zumuten möchte. Dann können wir zu dem Steuerrad unseres Gehirns gehen und werden dort sicherlich unser Hippo finden, was versucht uns in den nächstgelegenen Busch zu steuern.
2. Umarme Dein Hippo
Es ist wichtig, unserem Hippo eine feste Umarmung zu geben. Schenke dem Hippo etwas Liebe. Es hat sie wirklich verdient bei all der harten Arbeit. Es hat Dich auf seine eigene verkorkste Art und Weise beschützt. Nach der Umarmung kannst du den nächsten Schritt machen und sagen “Danke, dass du versucht hast, mich zu beschützen. Von hier an habe ich alles im Griff”. Oft ist das schon genug, damit das Hippo das Steuerrad übergibt und Du kannst direkt zu Punkt 5 springen.
3. Frage das Hippo was es gerade braucht
Manchmal übergibt das Hippo das Steuerrad nicht so leicht. Wenn es um unsere Sicherheit besorgt ist, kann es hartnäckig sein. Gib Deinem Hippo in diesem Fall eine noch größere Umarmung, streichle vielleicht seinen Bauch und stelle eine sehr wichtige Frage: “Was brauchst Du gerade?”
4. Sei kreativ darin, dem Hippo das zu geben, was es braucht
Die Antwort auf die Frage “Was brauchst Du gerade?” wird sehr unterschiedlich ausfallen, je nach Hippo und Situation. Wir müssen gut zuhören und kreativ darin sein, dem Hippo, innerhalb unserer Möglichkeiten das zu geben, was es braucht.
Das könnten die Hippos in unseren zwei Beispielen gebraucht haben:
Marks Hippo könnte zufrieden sein, wenn Mark das Hippo an all die Projekte erinnert, die er bereits erfolgreich beendet hat. Bestimmt beruhigt sich das Hippo ein wenig, wenn Mark ihm versichert, dass er allen Grund hat, sich wertvoll und kompetent zu fühlen, auch wenn Ben im Gespräch vielleicht einen abfälligen Kommentar machen sollte.
In Katelins Fall könnte das Hippo etwas mehr als das brauchen. Solange Katelin sich jedes Mal ungenügend fühlt, solange sie an ihrer Thesis arbeitet, wird ihr Hippo sie nicht 8 Stunden am Tag daran arbeiten lassen. Und das aus gutem Grund. Katelins Hippo braucht von ihr, dass sie Strategien findet, sich wertvoller und geliebter zu fühlen, auch während sie an ihrer Thesis arbeitet. Bei Hippos, die dem von Katelin ähneln, ist professionelle Unterstützung oft hilfreich.
5. Übergebe das Steuerrad an den/die rationale*n Entscheidungstreffer*in
Sobald das Hippo alles hat, was es braucht, um das Steuerrad zu übergeben, kannst Du den/die rationale*n Entscheidungstreffer*in übernehmen lassen.
Autorin: Maren Jakob