Hallo Angst, meine alte Freundin
Lesezeit: ca. 5 Minuten
Dauer der Übung: ca. 45 Minuten
Utensilien: Papier und Bleistift oder je nach Wahl andere Gegenstände
Diese Übung kann dir einen kreativen Raum eröffnen, in welchem du deinem Problem mit mehr Leichtigkeit und Flexibilität begegnen kannst.
Probleme werden häufig als Eigenschaften einer Person betrachtet. In diesem Fall ist das Problem äußerst schwer zu lösen, da es „zur Person gehört“. Die Übung der Externalisierung bietet die Möglichkeit, sich mit seiner Persönlichkeit auf ganzheitlicheren Art auseinanderzusetzen. So können wir besser fühlen, dass wir sehr viel mehr sind, als nur unser aktuelles Problem. Aus dieser Haltung heraus können wir beginnen, uns um unsere Probleme zu kümmern und neue Lösungswege entdecken. Für diesen Artikel haben wir uns auf die Externalisierung von Angst konzentriert.
Was wäre, wenn du mit deiner Angst wie mit einem alten Freund/einer alten Freundin umgehen könntest? Ein/e Freund/in, der/die es dir nicht immer leicht macht, dem/der du deine Grenzen jedoch liebevoll vermitteln kannst? …Vielleicht könntest du dadurch beginnen, dein Leben mit mehr Leichtigkeit zu gestalten.
Die Methode der Externalisierung ist eine zentrale Methode in der narrativen Therapie nach Michael White und findet häufig Anwendung in der systemischen Beratung/Therapie. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Externalisierung zu praktizieren.
Die Autorin Elizabeth Gilbert liefert in ihrem berühmten Brief an ihre Angst ein wunderbares Beispiel. Es lautet wie folgt:
„Liebste Angst,
die Kreativität und ich werden zu einer Reise aufbrechen. Ich weiß, dass du uns begleiten wirst, denn das tust du immer. Ich erkenne an, dass du glaubst, in meinem Leben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, und dass du deine Aufgabe ernst nimmst. Anscheinend besteht diese Aufgabe darin, mich in schiere Panik zu versetzen, wann immer ich irgendetwas Interessantes tun will- und, wenn ich das sagen darf, du machst deine Sache hervorragend. Also bitte, erfülle deine Aufgabe, wenn du es für nötig hältst. Aber ich werde auf dieser Reise auch meine Aufgabe erfüllen, die darin besteht, hart zu arbeiten und konzentriert zu bleiben. Und die Kreativität wird ihre Aufgabe erfüllen, die darin besteht, anregend und inspirierend zu sein. Im Wagen ist Platz genug für uns alle, also mach es dir bequem, aber lass dir gesagt sein: Die Einzigen, die hier Entscheidungen treffen werden, sind die Kreativität und ich. Ich erkenne und respektiere, dass du zur Familie gehörst, deshalb werde ich dich nie von unseren Ausflügen ausschließen, aber dennoch- deine Vorschläge werden niemals angenommen werden. Du darfst gern Platz nehmen, und du darfst dich gern äußern, aber du darfst nicht mit abstimmen. Du darfst die Karte mit der Route nicht berühren, du darfst keine Umwege vorschlagen, du darfst nicht an der Klimaanlage rumspielen. Süße, du darfst noch nicht mal ans Radio. Aber vor allen Dingen, meine liebe alte gute Freundin, ist es dir vollkommen untersagt, ins Steuer zu greifen“.
( Aus „Big Magic: Nimm dein Leben in die Hand und es wird dir gelingen“ von Elizabeth Gilbert)
Durch die Methode der Externalisierung werden Problem Narrative so neu konstruiert, dass das Individuum und Problem voneinander getrennt werden. Wir können dies in unterschiedlichen Kontexten tun, beispielsweise um mit Angst, Konflikten, Schuldgefühlen oder Wut umzugehen. Durch die Externalisierung von Problem Narrativen kannst du dich von ihnen distanzieren und dadurch neue Perspektiven eröffnen. Durch diese Distanz kannst du mehr von dir wahrnehmen, ohne deine einschränkenden Narrative. So kannst du dann versuchen, Zugang zu denjenigen Qualitäten in deinem Leben zu erhalten, welche dich stärken können. Dies erleichtert es dir höchstwahrscheinlich, dich auf deine Bedürfnisse, Wünsche und Träume zu fokussieren.
Nun kannst du mit deinem eigenen Problem üben. Sei es deine Angst, Frustration, Zaudern, Zögern, Wut, Hilflosigkeit oder was auch immer dein aktueller unerwünschter Begleiter sein könnte. Du brauchst nichts weiter zu tun, als ihm eine Form zu geben - Was kommt dir als erstes? Ein Mensch? Ein Tier? Ein Märchenwesen? Irgendetwas drängt sich meist als erstes auf. Es gibt kein richtig und falsch. Stelle dir vor, er/sie/es sitzt an einem anderen Ort, vielleicht im Zimmer oder, wie in diesem Beispiel auf dem Beifahrersitz eines Autos.
Du kannst dein Problem in dieser Form beobachten und dir Fragen stellen wie: Wann überschreitet dieses Problem meine Grenzen? Wann und wie verhält es sich entgegen meinen eigenen Werten? Wann ist es am aktivsten? Wann ist es groß und wann ist es klein? Versucht das Problem, mich vor etwas zu schützen? Wann hindert es mich daran, meinem Potenzial gerecht zu werden? Wann hindert es mich daran, bedeutsame Beziehungen zu führen?
Und dann viel Spaß beim Schreiben deines Briefes!
Ich möchte dich ermutigen, dir Zeit zu nehmen, es langsam anzugehen und herauszufinden, wie du deine Angst oder jedes andere Problem, mit dem du arbeiten möchten, externalisieren kannst.
Wenn du eine Externalisierung lieber gemeinsam über unseren Chat oder Videocoaching durchführen möchtest, kannst du dich gerne an uns wenden.
Autorin: Leonie Görlitz
Quellen
Gilbert, E. (2016). Big magic: Creative living beyond fear. Penguin.
Johannsen, J. (2016). Baustein 9 Externalisierung. Handwerkszeug der systemischen Beratung: Das Buch zur Weiterbildung Systemisches Tool Camp-2, 149.
Unterholzer, C. (2018) (https://ist.or.at/wp-content/uploads/2021/02/Unterholzer-Externalisieren.pdf